Redaktion:
Gibt es auch Kritikpunkte?
Wolfgang Rhein:
Insgesamt ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber der vorherigen Version erkennbar und die Formulierungen lassen nur wenige Fragen offen. Allerdings habe ich tatsächlich zwei Punkte zu bemängeln.
Zum einen steht im Kapitel „Anwendungsbereich des PPF-Verfahrens“, dass genormte Produkte und Rohmaterialien keinem eigenen PPF-Verfahren unterliegen. Das ist für mich eine grobe Fehlentscheidung, denn insbesondere Rohmaterialien sind extrem risikobehaftet und entstammen zumeist keinem stabilen, geschweige denn statistisch fähigen, Serienprozess. Hinzu kommt, dass der Entwicklungs- und Freigabeprozess dieser Materialien in der Praxis zumeist nicht annähernd Automotive-Qualitäts- und -Nachweisstandards genügt. Die meisten Lieferanten von genormten Produkten und Rohmaterialien sind nicht nach IATF 16949 zertifiziert, d.h. die ansonsten üblichen Qualitätsstandards „greifen“ nicht durch. Eine Unterlassung des PPF-Verfahrens, gerade bei direkten oder indirekten sicherheitsrelevanten Umfängen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Eine Unterlassung des PPF Verfahrens bedeutet zum Beispiel konkret, dass Organisationen z.B. an der Rezeptur etwas ändern können und dies dem Kunden nicht mitteilen müssen. Man könnte Bücher darüber schreiben, zu was für Problemen dies in der Vergangenheit bereits geführt. Zum Glück haben manche Automobilhersteller dies erkannt und die Anwendung von VDA-Band 2 auch für genormte Produkte und Rohmaterialien in ihre kundenspezifischen Anforderungen aufgenommen.
Der zweite Kritikpunkt betrifft die Prüfprozesse. Im VDA Band steht, dass für Prüfmittel Fähigkeiten nachgewiesen werden müssen. Prüfmittel und Prüfprozesse sind zwei verschiedene Dinge und gemeint waren eigentlich letztere. Würde man nur für Prüfmittel Fähigkeiten nachweisen, würden ggf. Bedienereinfluss sowie weitere signifikante Messunsicherheitsbeiträge nicht in die Streuungsuntersuchungen einbezogen werden. Aus fachlicher Sicht gibt es keine Begründung für die Unterlassung der Fähigkeitsermittlung für Prüfprozesse. Es widerspricht auch der IATF 16949 im englischen Original, da hier von „inspection, measurement, and test equipment systems“ gesprochen wird, was nach AIAG Manual MSA dem Prüfprozess und nicht nur dem Prüfmittel entspricht (anderes Wording als VDA-Band 5). Der VDA hat dieses Problem erkannt und angekündigt, dies in einer Sanktionierten Interpretation klarzustellen.